Filmkritik aus Expertensicht: „Asbest, eine unendliche Geschichte“
Während die Verwendung von Asbest in Deutschland seit 1993 und EU-weit seit 2005 verboten ist, wird die einstige Wunderfaser in anderen Teilen der Welt weiterhin tonnenweise gefördert und exportiert. Der Dokumentarfilm „Asbest, eine unendliche Geschichte“ von Thomas Dandois und Alexandre Spalaïkovich (Frankreich 2022, ca. 90 Min.) zeigt, dass niemand völlig sicher vor dem Schadstoff ist.
Da Asbest ein zentraler Bestandteil unserer täglichen Laborarbeit ist, verfolgen wir natürlich mit großer Aufmerksamkeit die Berichterstattung über dieses Thema. Wir haben den Dokumentarfilm aus Expertensicht kritisch unter die Lupe genommen. Lesen Sie nachfolgend unseren Brief an die Arte-Presseabteilung:
„Sehr geehrte Frau Savin,
die CRB Analyse Service GmbH ist ein international tätiges, inhabergeführtes Analyselabor mit Schwerpunkt auf der Analyse von Asbest in Baustoffen und 30 Jahren Erfahrung auf diesem Gebiet. Daher haben wir Ihren Beitrag zum Thema Asbest mit großem Interesse zur Kenntnis genommen.
Der Dokumentarfilm zeigt eindrücklich die Ursprünge des industriellen Abbaus von Asbest bis in die Gegenwart. Er geht ebenso auf die Irrationalität der wirtschaftlich abhängigen Mitarbeiter und Familien im Umgang mit dem Gefahrstoff ein. Die resultierenden Altlasten im Umfeld der Abbaugebiete in Kanada, Russland und auf Korsika werden nachvollziehbar dargestellt und abschließend werden die ausbeuterischen „Entsorgungsverhältnisse“ in Ländern wie Bangladesch geschildert sowie die bis vor kurzem andauernde Produktion von asbesthaltigen Faserzementen in ungenügend regulierten Ländern, wie z.B. Kolumbien.
Leider greift der Beitrag den Aspekt der noch heute andauernden Gesundheitsgefahren für die Bevölkerung weltweit, nicht nur in Europa, vollkommen ungenügend auf. Zwar wird ein Beispiel aus einem Vorort von Barcelona angeführt, in dem großflächig Asbestzementprodukte verbaut wurden. Jedoch bringt dieses Beispiel nicht das tatsächliche Ausmaß der Risiken durch Asbest im Baubestand zum Ausdruck. Daher muss der Beitrag deutlich kritisiert und idealerweise durch eine Ergänzung vervollständigt werden.
Indem lediglich Faserzemente und Reinasbestprodukte in dem Beitrag erwähnt werden, wird fälschlicherweise suggeriert, dass dies die einzigen Asbestprodukte sind, die eine gegenwärtig noch eine Gefahr darstellen. Es wurden aber mehr als 3000 Produkte mit Asbest hergestellt (Quelle: Nationales Asbest Profil Deutschland, Seite 7), die in öffentlichen und privaten Gebäuden bis zu dem jeweiligen nationalen Verbot (in Deutschland 1993) verbaut wurden. Dazu zählen neben Bodenbelägen, deren Kleber, auch Putze, Spachtelmassen, Fliesenkleber, bituminöse Dachbahnen, Estriche, Ausgleichsmassen zur Bodennivellierung, Asphalte und Dichtmassen und viele mehr. Zwar enthalten diese Produkte in der Regel geringere Mengen an Asbest (in Masseprozent) als Faserzemente, sie sind aber dafür vermutlich in mehr als der Hälfte aller Immobilien verbaut, die zwischen 1960 und 1990 in Deutschland errichtet wurden. Darüber hinaus wurden in diesem Zeitraum in der Mehrzahl aller renovierten Gebäude asbesthaltige Produkte verbaut.
„Es wird geschätzt, dass bis zum generellen Asbestverbot in 1993 in allen Gebäuden Asbestbauprodukte mit hoher Wahrscheinlichkeit angetroffen werden können.“ (Quelle: Nationales Asbest Profil Deutschland, Seite 56)
Die in dem Beitrag genannten Faserzemente werden nach unserer Erfahrung inzwischen auch von Laien mit hoher Wahrscheinlichkeit erkannt. Durch das allgemeine Überdeckungsverbot, welches explizit Faserzemente nennt, ist ein Überbauen von asbesthaltigen Dachflächen, z.B. mit Solaranalagen, weitgehend unmöglich, da die entsprechenden Handwerker das Überdeckungsverbot konsequent umsetzen.
Leider stellen wir beinahe täglich fest, dass fast alle anderen Gewerke (Fliesenleger, Klempner, Elektriker etc.) in Deutschland erhebliche Schwierigkeiten haben, die gesundheitliche Gefährdung von Mitarbeitern durch Asbest anzuerkennen und entsprechende gesetzlich vorgeschriebene Prüfungen vor Beginn von Baumaßnahmen durchzuführen. Entsprechend hoch ist bis heute die Zahl der Erkrankungen, auch noch 30 Jahre nach Erlass des nationalen Asbest-Verbots.
„Insgesamt waren asbestbedingte Erkrankungen für 63 % aller Todesfälle infolge einer Berufskrankheit verantwortlich. Dieser Trend war in den letzten Jahren relativ konstant. Es wird erwartet, dass er sich auch in den nächsten Jahren fortsetzen wird.“ (2017 = 1630 Tote) (Kapitel 9, Seite 37)
Neben den beruflich tätigen Handwerkern sind auch Hobbyhandwerker und Do-It-Yourself-Heimwerker gefährdet. Diese Gruppe macht zusätzliche 30 % bis 50 % der Todesfälle nach Asbestexposition aus.
„Das Krebsregister weist etwa 30 % bis 50 % höhere Fallzahlen für das Mesotheliom im Vergleich zu den Fallzahlen für tödlich verlaufende Berufskrankheiten durch das Mesotheliom auf. Die Gründe hierfür wurden bisher nicht noch geklärt. Eine mögliche Ursache könnte eine relevante außerberufliche Asbestexposition sein.“ (Kapitel 9, Seite 40)
Wohlgemerkt beziehen sich diese Zahlen auf Deutschland, also auf ein Land, das weltweit eines der schärfsten Arbeitsschutzgesetzte hat. Dennoch stellt Asbest aus Unkenntnis und Ignoranz eine allgegenwärtige Gefahr für die Menschen dar. Während im Jahr 2017 im Straßenverkehr in Deutschland 3180 Todesfälle zu beklagen waren – eine Zahl, die jedes Jahr aufs Neue mit großer Medienpräsenz berichtet wird – starben den oben gemachten Angaben zu Folge 2120 Menschen an Asbest. Diese Todesfälle sind keine Pressemeldung wert und tauchen auch nicht in der von Ihnen ausgestrahlten Dokumentation zum Thema Asbest auf. Während die Zahl der Verkehrstoten von Jahr zu Jahr unter medialer Beleuchtung abnimmt, wird mit einer konstanten Zahl von Asbesttoten pro Jahr gerechnet. Berichtet wird darüber jedoch nicht.
Diese Diskrepanz in der medialen Präsenz ist weder nachvollziehbar noch vernünftig.
Wir haben ein großes Interesse daran, das Thema Asbest stärker in die Öffentlichkeit zu rücken. Neben den offensichtlichen wirtschaftlichen Interessen unseres Unternehmens treibt uns aber vor allem der Kampf gegen die blanke Ignoranz in weiten Teilen der Firmen und der Bevölkerung an. Wir sind vernetzt mit Probenehmern und Schulungsanbietern im Bereich Asbest sowie nationalen und internationalen Aufsichtsbehörden (Institut für Arbeitsschutz der DGUV, Deutschland; SUVA, Schweiz). Leider haben wir kaum Kontakte nach Frankreich, die wir für weitere Recherchen anbieten könnten.
Falls auf Ihrer Seite Interesse besteht das Thema Asbest und die gesellschaftlichen Auswirkungen in Europa näher zu dokumentieren, bieten wir gerne unsere Unterstützung durch Fachwissen und Kontakte an.
Mit freundlichen Grüßen
CRB Analyse Service GmbH“
Aus unserer fachlichen Sicht kommen in der Dokumentation wichtige Fakten und Aspekte zu kurz oder fehlen ganz. Dennoch lohnt sich das Anschauen. Verschaffen Sie sich gerne selbst einen Eindruck: Den Dokumentarfilm können Sie sich hier in der Arte-Mediathek ansehen.
Wie in unserer Filmkritik beschrieben, verdient das Thema Asbest noch viel mehr und differenziertere mediale Aufmerksamkeit. Sie sind Filmemacher oder Redakteur und benötigen Unterstützung dabei, das Thema Asbest aus einer fachlichen, wissenschaftlichen Perspektive zu beleuchten? Gerne stehen wir Ihnen beratend zur Seite! Melden Sie sich einfach telefonisch oder über unser Kontaktformular bei uns.